Freitag, 27. Januar 2023; 07:15
NLA

Antti Ropponens spezieller Werdegang

Von: Köbi Hefti

Der Finne Antti Ropponen, Diagonalangreifer von Volley Näfels, kann dank hervorragender Medizinaltechnik seinen Kindheitstraum leben


Antti Ropponen ist seit dieser Saison der Topscorer von Volley Näfels. Der Finne ist 27-jährig und mit 1.92 Meter für einen Volleyballer auf der Diagonalposition eher klein. Doch mit seiner Athletik, seinem Auge für die erfolgsversprechende Lösung und seinem goldenen Händchen macht er die fehlenden Zentimeter mehr als wett. Ropponen ist Näfels’ zuverlässiger und erfolgreichster Punktesammler. Eigentlich hätte er schon in der Saison 2020/21 bei Näfels spielen sollen, doch er erlitt bei einem Zusammenzug mit dem finnischen Nationalteam eine schwere Fussverletzung. Eine lange Pause und die Annulation des Kontrakts mit Näfels waren die Folgen. In diesem Jahr hat sich der Traum eines Engagements im Ausland für den Linkshänder aber doch noch erfüllt. Dazu sagt er: «Ich suchte eine neue Herausforderung und bin so dankbar, dass mir Näfels diese zweite Chance gab.»

Stimulation als Lösung
Ropponen ist in Seinäjoki, im Südwesten Finnlands aufgewachsen. Seine Heimatstadt liegt zwischen der Ostsee und der finnischen Seenplatte gute vier Autostunden nordwestlich von Helsinki. Seinäjoki ist mit rund 65'000 Einwohnern die grösste Stadt der Landschaft Südösterbotten. Obwohl das Gebiet sehr tief gelegen ist - die Bergstation des höchst gelegenen Skilifts befindet sich auf 163 m.ü.M. – könne es dort richtig viel Schnee haben, sagt Ropponen.
Die Kindheit verlief für klein Antti aussergewöhnlich. Mit rund zwei Jahren wunderten sich seine Eltern, dass er nicht reagierte, wenn sie ihm riefen. Abklärungen ergaben, dass er gehörlos war. Im Alter von sieben Jahren bekam er ein Cochlea-Implantat. Diese hochgradig technologischen Geräte bestehen aus einem Sprachprozessor direkt hinter dem Ohr, welcher Schallwellen erfasst und an den Sender am Hinterkopf überträgt. Von dort werden die Signale an das unter der Kopfhaut eingepflanzte Implantat übertragen. Die dadurch entstehenden Impulse stimulieren die Fasern der Hörnerven in der Hörschnecke (Cochlea). Damit entsteht ein Höreindruck. Ropponen ist sehr glücklich, dass damals so entschieden wurde: «Dieses Implantat ist für mich sehr wichtig. Es hat mir eine neue Welt eröffnet. Alles wurde einfacher.»

Wie Donald Duck
Er erinnert sich an jenen Moment, als er das Implantat bekam und erstmals hören konnte: «Ich staunte über all die Geräusche, wie den Wind oder das Zwitschern der Vögel. Es war ein überaus eindrückliches Gefühl, obwohl ich zuerst nicht zwischen Lärm und Tönen unterscheiden konnte.» Zur Frage, wie er die Sprache erlebte antwortet er: «Zu Beginn war es, wie wenn Donald Duck sprechen würde, mein Gehirn war überhaupt nicht darauf eingestellt. Ich musste alles von Grund auf lernen.». Es dauerte drei Jahre, bis er alles derart gut beherrschte, dass eine Kommunikation über die gesprochene Sprache möglich wurde und die bis zu diesem Zeitpunkt übliche Gebärdensprache ablöste. Er sagt, dass das Erlernen der gesprochenen Sprache nicht hart gewesen sei: «Es hat sich einer neuer Kommunikationskanal geöffnet. Ich sah nur Vorteile.  Das Finden neuer Freunde wurde beispielsweise viel einfacher.» Doch bis dahin sei seine Kindheit wegen seiner Gehörlosigkeit eine ganz andere gewesen als jene seiner Freunde, sagt er. Mit dem Implantat veränderte sich sein Alltag zusehends. Schon vier Jahre nach der Operation wechselte er an eine normale Schule, so enorm waren seine Fortschritte beim Verstehen und Sprechen. Doch er gesteht, dass er nicht perfekt finnisch könne, da dies eine unerhört schwere Sprache sei. Anderseits kann er heute problemlos Gespräche in englischer Sprache führen. Noch immer ist er tief von Gehörlosen ohne Implantat beeindruckt und sagt: «Sie verständigen sich mit der Gebärdensprache, meistern das Leben, sind glücklich und haben andere Sinne, die viel ausgeprägter sind, weil sie nicht hören können.» Er kann sich gut vorstellen, dass er nach dem Ende seiner Karriere eine Tätigkeit im Umfeld von Gehörlosen suchen wird.

Weltrekordhalter
Die Schule war für Ropponen kein begeisternder Ort, ausser es ging um Sport. «Mich interessierte nur der Sport. Ich hatte immer irgendeinen Ball in den Händen. Das war meine Leidenschaft.» Seine Familie war sportlich, beispielsweise im Nationalsport «Finnish Baseball». Dass er aber Volleyballer wurde, ist auf seine um zwei Jahre ältere Schwester zurückzuführen. Diese spielte auch Volleyball. Nachdem die Familie ein Turnier beim «Europe Power Cup» besuchte, wo seine Schwester mitspielte, wollte er auch Volleyball spielen. «Power Cup» sind riesige und in Finnland sehr beliebte Outdoor-Volleyballturniere mit normalen Indoor-Regeln.
Es war der Beginn einer eindrücklichen Karriere. Ropponen ist zweifacher Meister und Cupsieger in Finnland, fünfzigfacher Nationalspieler und EM-Teilnehmer. Damit verwirklichte er, was er sich bereits als Kind in den Kopf gesetzt hatte: Profisportler werden. In jüngeren Jahren war Ropponen nicht nur Volleyballer, sondern auch ausgezeichneter Speerwerfer und Weltrekordhalter in dieser Disziplin bei den gehörlosen Junioren. Zweimal nahm er an den Olympischen Spielen für Gehörlose teil, 2013 als Speerwerfer und 2022 als Beachvolleyballer.

Dicke Überraschung
Seit August wohnt und arbeitet Ropponen in Näfels. Das anfängliche Heimweh ist gewichen, dank seiner Freundin, die auch hier ist und dem Team, welches für ihn wie eine Art Ersatz für die Familie wurde. Sein neues Domizil gefällt ihm. «Als ich hier ankam, haben mich die Berge beeindruckt. Sie sind wunderschön. Aber auch die Seen in der Region gefallen mir», sagt er, betont aber, dass er hier Profisportler sei und seine ganze Energie in diesen Job stecke und deshalb noch nicht viel von der Schweiz gesehen hätte.
Das Leben hier sei anders als Finnland, meint er und ergänzt: «Ich kann aber keine negativen Sachen sagen. Eine dicke Überraschung ist aber, wie teuer hier das Essen ist. Trotzdem stört mich hier nichts.» Besonders positiv ist ihm die Hilfsbereitschaft im Glarnerland aufgefallen. Über sich sagt Ropponen, dass er ein ruhiger und scheuer Mensch sei, dem Ehrlichkeit und Vertrauen sehr wichtig seien. Richtig ärgern können ihn aber Ungerechtigkeiten und Lügen in allen Bereichen des Lebens. Ärgern kann er sich auch über sich, wenn ihm auf dem Feld Missgeschicke passieren. Doch Ropponens andere Seite ist viel stärker. Er sagt: «Es gibt so viele Dinge, welche mich glücklich machen: ein gutes Essen, die gute Stimmung im Verein, ein gutes Training, ein toller Match, Leute – einfach alles Positive.»

Antti Ropponen: 27-jähriger Diagonalangreifer aus Finnland

Heimatstadt: Seinäjoki

Winter: Es könne in Südösterbotten richtig viel Schnee haben, sagt Antti

Power Cup: Bei einem solchen Turnier sprang der Funke fürs Volleyball bei Antti

Antti – der Topscorer

Cochlea-Implantat: Diese Medizinaltechnik ist für Antti sehr bedeutungsvoll