Mittwoch, 12. Juli 2017; 08:00
NLA

Von der Halle in die Wüste

Von: Köbi Hefti und Ruedi Gubser

Zwölf Jahre gehörte Marco Gygli dem NLA-Team von Volley Näfels an. Seit 2014 war er ihr Captain. Nach dem Rücktritt hat der 30-Jährige andere Pläne: Er will aus der Normalität ausbrechen und mit seiner Freundin in die Vereinigten Arabischen Emirate ziehen.


«Unter der Führung von Passeur Marco Gygli wuchs das Team des früheren Lugano-Trainers Mario Motta über sich hinaus und bezwang Kroatien überraschend 3:1.» Das schrieb am 25. Mai die Sportinformation, nachdem die Schweizer Volleyball-Nationalmannschaft am Qualifikationsturnier für die Weltmeisterschaften vom nächsten Jahr den haushohen Favoriten Kroatien sensationell bezwungen hatte.

Jetzt sitzt dieser Marco Gygli auf der Terrasse jener Sportstätte, die für ihn in den vergangenen 23 Jahren die Sportwelt bedeutet hat. Seit er als siebenjähriger Knirps bei den Mini D mit Volleyballspielen begonnen hat, ist die Lintharena sein zweites (oder erstes) Zuhause geworden. Was hat der am 21. Mai 30 Jahre alt gewordene und seit 28. Mai den Volleyball-Ruhestand geniessende Gygli nicht alles erlebt in dieser Halle. Siege, Niederlagen, Enttäuschungen, grenzenlose Freude. Er sah Spieler kommen und gehen, Trainer schimpfen und fliegen und einen Teammanager, der wie ein Marionettenspieler alle Fäden stets in Händen hielt: seinen Vater Ruedi.

Die Faszination ist ungebrochen
Dieser verlangte von Sohn Marco nicht die Volleyballerkarriere, hinderte ihn aber verständlicherweise auch nicht daran. Beide nahmen die in solchen Konstellationen auftretenden Sprüche von wegen Vater-Bonus in Kauf und konnten damit umgehen. Schliesslich zählte die Leistung im Training und auf dem Platz. Als Bub spielte Marco Gygli auch Fussball und Tennis. «Beim Fussball musste ich zu viel rennen. Darum hörte ich damit bald einmal auf.» Volleyball faszinierte ihn. «Volleyball ist ein schwieriges, anspruchsvolles Spiel, und die taktischen Varianten sind beinahe unerschöpflich», sagt Gygli. Er schwärmt immer noch von seiner Sportart, beschreibt die einzelnen WM-Qualifikationsspiele von Ende Mai in Zagreb präzise bis ins letzte Detail, spricht von den schönen Momenten in der Nationalmannschaft. Marco Gygli lebt den Volleyballsport, als gehörte er noch dazu und hätte den Rücktritt vom Spitzensport nicht gegeben. «Ich fühle mich auch nicht als Sportpensionär. Denn bisher ist es wie immer im Sommer: Wir haben Volleyballferien, und mit Dalibor Polak trainiere ich ab und zu im Kraftraum. Vielleicht spüre ich im Herbst, wenn die Saison wieder losgeht, dass ich nicht mehr dabei bin.»

Wärme statt Winter
Vielleicht spürt Marco Gygli aber gar nicht, dass hierzulande die Meisterschaft begonnen hat. Gut möglich, dass er dann mit seiner langjährigen Freundin Tanja Schiesser in den Vereinigten Arabischen Emiraten weilt. Dort zu arbeiten, ist der Traum des Paares. Damit es in diesem Land problemlos zusammenleben kann, hat es sogar die Hochzeit vorgezogen. «Ein Paar darf in den Emiraten nicht zusammenwohnen, wenn es nicht verheiratet ist. Wir hatten sowieso vor, zu heiraten. Nun machen wir es einfach früher», sagt Marco Gygli. Am 26. August tritt das Paar in den Bund der Ehe ein.

Gestern sind die beiden in die Emirate abgeflogen. Der Grund sind nicht vorgezogene Flitterwochen oder ein Karrierenstart im Beachvolleyball («da besteht keine Gefahr, weil mir Beachvolleyball viel zu anstrengend ist»), es geht um die Feinplanung ihres längeren Aufenthalts. «So für ein, zwei Jahre möchten wir dort leben.» Für Tanja (Noch-)Schiesser wird es kein Neuland sein. Bereits als Kind lebte sie in den Emiraten, weil ihr Vater dort arbeitete. «Sie ist international, wurde in Zypern geboren, lebte je ein Jahr in Malaysia, Südafrika sowie Saudi-Arabien und eben sechs Jahre in Abu Dhabi. Sie spricht noch etwas Arabisch. Das ist hilfreich. Diese Sprache zu erlernen, sei nicht schwierig, hat sie gemeint», bemerkt Gygli.

Der Trip von Marco Gygli an den Persischen Golf überrascht nicht. Neben dem Volleyball ist Reisen seine grosse Leidenschaft. Mit einer KV-Ausbildung und langjährigen Tätigkeit in einem Reisebüro machte er diese Leidenschaft denn auch zum Beruf. 2016 schloss er an der HTW in Chur den Bachelor in Tourismus und Sport ab. In den Emiraten möchte er deshalb eine Tätigkeit im Sportbereich ausüben. «Animateur in einem Hotel wird es aber definitiv nicht sein», sagt Gygli lachend.

Das Reisefieber packte Marco Gygli schon früh. Nach der Sekundarschule, mit 15, weilte er für ein Austauschjahr in den USA und besuchte unweit von Chicago die Highschool. Diese Zeit liess ihn reifen und prägte ihn. Er musste die Dinge selbst in die Hand nehmen. «Ich hatte nie Heimweh.» Er musste selbst Entscheidungen fällen – so wie später als Passeur. Am wichtigsten war Marco Gygli bei seinem USA-Aufenthalt, Englisch zu lernen. «Sprachen sind wichtig.» Zu dieser Erkenntnis war Gygli gekommen, als er mit Gustavo Meyer, der bei Gyglis wohnte, im Wohnzimmer sass, beide in den Fernseher starrten und sich nicht unterhalten konnten. «Ich sprach nur Deutsch, er nur Spanisch», so Gygli. Mit dem Mexikaner, der während insgesamt sieben Saisons (1999 bis 2001, 2004/05, 2009 bis 2011, 2013 bis 2015) das Dress der Näfelser trug, verbindet Gygli eine besondere Freundschaft. «Er ist wie ein Bruder für mich.»

Beeindruckende Trainer
Bei den Trainern, von denen er viele erlebt hat, haben ihm Juan-Manuel Serramalera und Dalibor Polak am meisten imponiert. «Serramalera war sensationell. Keiner machte so harte und lange Trainings wie er. Er arbeitete sehr detailliert und machte super Matchvorbereitungen. Er konnte dir immer auf den Punkt genau erklären, was du zu tun hast. Er hat auch mittrainiert, und in manchen Trainings war er mit Abstand der Beste auf dem Feld.» Mit dem Argentinier feierten die Näfelser die grössten Erfolge: viermal Schweizer Meister, dreimal Cupsieger, dreimal Supercupsieger. Marco Gygli war bei je einem Triumph in Meisterschaft, Schweizer Cup und Supercup dabei (Saison 2006/07). «So richtig dabei war ich damals noch nicht, denn ich kam wenig zum Einsatz.»

Vor allem geprägt wurde Gygli vom Tschechen Dalibor Polak, der seit 2009 die Volleyballer von Näfels trainiert. «Mit ihm hatte ich am meisten zu tun. Er hat einen ähnlichen Charakter wie Serramalera. Als Spieler ist dir klar, dass da einer steht, der alles besser weiss und besser kann als du selbst. Da fragt niemand nach. Man macht das, was der Trainer sagt.» Marco Gygli erwähnt auch die Nachwuchstrainer, die mit ihrer hervorragenden Arbeit, viel zu seiner Karriere beigetragen haben. «Die Näfelser Volleyballschule ist eine der besten der Schweiz. An den nationalen Vergleichen fallen die Näfelser immer wieder durch ihre ausgezeichnete Technik auf», windet Marco Gygli den Nachwuchstrainern ein Kränzchen.

Erfolg durch harte Arbeit
Zum Gespräch in der Lintharena sollte Marco Gygli etwas mitnehmen, das ihm viel bedeutet. Er hat zwei Fotobücher mitgebracht, in denen seine Karriere in Bildern festgehalten ist. Eine Karriere, die vor zwölf Jahren in der ersten Mannschaft von Volley Näfels begonnen hatte, die ihm zwei Meistertitel, drei Cupsiege und einen Triumph im Supercup eintrug, ihn zum Captain von Näfels und dem Schweizer Nationalteam machte, für das er 46 Länderspiele absolvierte, und die mit einem 3:2-Sieg gegen Norwegen am 28. Mai zu Ende gegangen ist. Mit Näfels hatte Marco Gygli am 23. April seinen letzten Auftritt – im Play-off-Final gegen Amriswil. Er sagt von sich, nicht das Talent habe ihm diese Karriere ermöglicht. Es war harte Arbeit. «Richtig wohlgefühlt mit Spielen habe ich mich erst vor fünf Jahren. Zuvor hatte ich stets das Gefühl, es fehle etwas – auch Selbstvertrauen.» Mit dem gestärkten Glauben an seine Fähigkeiten überzeugte Marco Gygli in seiner Rolle als Passeur in der Folge mit seinem Spielwitz und einer Portion Frechheit.

Für seine Karriere nahm Gygli auch Entbehrungen in Kauf. «Einige Jahre begann der Arbeitstag für mich um 7.30 Uhr im Büro und endete nach 22 Uhr in der Halle.» Drei Trainings vormittags und fünf am Abend, dazu die Spiele standen auf Gyglis Wochenprogramm. Entschädigt wurde er mit den Erfolgen im Verein, mit den Auftritten im Europacup und den Spielen mit dem Nationalteam. Ein einmaliges Erlebnis war die Universiade 2015 in Südkorea. «An der Eröffnungsfeier vor 53 000 Zuschauer ins Stadion einzulaufen, ist ein Moment, den man nie vergisst.» Andere Momente waren der zweite Schweizer Meistertitel mit der Pokalübergabe in Näfels. «Es war der einzige Titel, den ich mir zu Hause sichern konnte.» Und sollte sich Marco Gygli nicht mehr an jeden Erfolg erinnern, kann er die Fotobücher, die seine Mutter zusammengestellt hat, zur Hand nehmen.

Golf statt Volleyball?
Ursprünglich wollte Gygli Ende Saison 2015/16 zurücktreten. «Dann gewannen wir mit Näfels den Cup, und auch mit dem Nationalteam lief es toll, darum wollte ich noch eine Saison anhängen.» Nun gibt es kein Zurück mehr. «Jetzt will ich auch einmal richtig arbeiten – und richtig Geld verdienen. Das ist als Volleyballer in der Schweiz nicht möglich.»

Ob er einmal seinen Vater als Teammanager von Näfels beerben wird, lässt Marco Gygli offen. «Das ist jetzt kein Thema. Mein Vater macht das so gerne, es würde ihm etwas fehlen, und seit er pensioniert ist, hat er sogar mehr Zeit für sein Hobby.» Für eine spätere Entscheidung sei für ihn die langfristige Entwicklung des Volleyballsports in der Schweiz massgebend, meint Marco Gygli. Vielleicht heisst es dann einmal: Unter der Führung von Teammanager Marco Gygli ist Näfels zur klaren Nummer eins im Schweizer Volleyball geworden. Vielleicht führt er einen Golfclub in Dubai, denn seit einiger Zeit spielt Marco Gygli auch Golf.

Marcos grösster Erfolg – Cupsieger als erster Passeur

Marco, der Captain – ein Vorbild in jeder Beziehung

Beachvolleyball war für mich nie ein Thema, weil es zu anstrengend ist.

Zwei, die sich ausgezeichnet verstanden: Trainer Dalibor Polak und Marco Gygli

Arabisch zu lernen, sei nicht schwierig, hat meine Freundin gemeint

Jetzt will ich auch einmal richtig arbeiten und richtig Geld verdienen

Die Erinnerungen immer zur Hand: Marco Gyglis Volleyball-Karriere festgehalten zusammengestellt als Fotobücher von seiner Mutter

Bye bye – Danke vielmals Marco für Deine 12 Jahre im NLA Team von Näfels